Silas

Die Anfrage kam um 16:14 Uhr. Der kleine Junge ist in der 38+4. SSW auf die Welt gekommen und die lebenserhalten Maßnahmen werden nun eingestellt... Man weiß nicht genau, wann er einschlafen wird..

Während ich das hier schreibe, merke ich gerade wie tief ich eingeatmet habe.. Ich erinnere mich noch genau an dieses Telefonat, welches nun schon 2 Wochen her ist.. Es ist so ein Unterschied zwischen: „Wir haben ein Sternenkind hier – kann bitte jemand kommen“ oder „Wir haben ein Kind hier, welches sehr bald versterben wird, wir rufen an, wenn du losfahren kannst“. Bei dem ersten Anruf packe ich meine Tasche und fahre los. Zeit zum Nachdenken habe ich im Auto. 10 Minuten lang. Ich funktioniere. Fahre los. Bin da und in der Situation drin.

Bei dem „anderen“ Anruf gehen mir 1000 Gedanken durch den Kopf.. Das ist immer eine sehr emotionale Zeit für mich, auf Abruf zu stehen. Zu wissen, dass eine Familie gerade die schlimmsten Stunden ihres Lebens erleben muss.. und nicht zu wissen, wann das Telefon klingelt, losfahren zu können.... ich packe meine Tasche.. ich erinnere mich, dass ich mir noch einen Kaffee gemacht habe.. Eigentlich wollte ich gerade mit der Bildbearbeitung eines anderen Shootings beginnen. Keine Chance.. Da hatte ich gar keine Ruhe zu. Es kann schnell gehen. Es kann aber auch bis in die Nacht dauern... warten.. die Gedanken rauschen vorbei...

Knapp 2 Stunden später kam der Anruf. Ich kann mich auf den Weg machen.

Immer wieder ein komisches Gefühl.. eine Mischung aus Trauer... die Eltern verabschieden sich gerade von ihrem Sohn, ich muss versuchen, mich diesen Gefühlen nicht zu sehr hinzugeben.. muss stark sein für meine Aufgabe gleich... aus einer Art Aufregung.. ich weiß gar nicht, was „los“ war... wussten die Eltern, dass ihr Kind versterben wird? War es absehbar? Wer erwartet mich da in dem Raum, wo das kleine Baby gerade eingeschlafen ist? .. so viele Gefühle....

Auf der kardiologischen Intensivstation angekommen musste ich eine Weile warten, bis jemand Zeit für mich hatte. Quälende Minuten.. Andere Eltern kommen ... andere gingen an mir vorbei, die ihre Kinder besucht haben.. Ich zog mir einen Schutzkittel an.. ein komisches Gefühl.. Ich war schon einige Male auf dieser Station bei Kindern, die es leider nicht geschafft haben.. Auch deren Eltern sind hier tagein tagaus hergekommen, um ihre Kinder zu besuchen. Und an diese Eltern musste ich in dem Moment sehr doll denken. Dann holte mich die liebe Schwester ab und brachte mich zu den Eltern. Ich öffnete die Tür und sah den kleinen Silas in dem Bettchen liegen. Nur einen kurzen Blick warf ich ihm zu. Ich begrüßte erst die Eltern und dann ging ich zu dem Kleinen ans Bett.. Ich sah ihn an.. und musste das alles erst mal realisieren: Vor mir lag ein scheinbar schlafendes Kind.. so friedlich.. so süß.. Ich dachte: Mach die Augen auf kleiner Mann.. ich sah ihn an.. ich weiß nicht wie lang.. er konnte seine Augen nicht öffnen.. er war kurz vor meiner Ankunft auf dem Arm der Mama eingeschlafen.. dann irgendwann streichelte ich ihm über seine Haare und sagte: „ Was machst du denn für Sachen...“ und ich glaube auch irgendwas wie“ oh mein Gott, bist du süß“ sagte ich..

Ich fragte die Eltern, was passiert sei..

Bis zur Geburt war alles gut .. Der Kaiserschnitt war notwendig, weil Silas sich durch das viele Fruchtwasser ständig gedreht hat. Bei der Geburt lag er dann in Querlage, darum wurde er per Kaiserschnitt geholt. Nach der Geburt war schnell klar, dass irgendwas nicht stimmt. Silas lief blau an – man vermutete zuerst Anpassungsschwierigkeiten.. Eine Kinderärztin kam dazu und erst hieß es alles sei gut. Vorsichtshalber holte sie ihren Chef und die Chefärztin dazu – die nahmen Silas gleich mit auf die Kinderstation.. der Papa darf gucken kommen.. sagte man... als der Papa dort ankam, durfte er nicht zu ihm. Plötzlich kamen ganz viele Ärzte angerannt ... Silas musste wiederbelebt werden.. man vermutete, es sei das Herz... eine Röntgenaufnahme brachte keine Klarheit – alles schien ok zu sein. Ab in ein anderes Krankenhaus hieß es, aber der angeforderte Rettungshubschrauber konnte aufgrund des Wetters nicht fliegen.. also kam Silas mit dem RTW ins andere Krankenhaus . Nach etlichen Stunden des quälenden Wartens durfte der Papa das erste Mal zu ihm.. Silas wurde beatmet und bekam Morphium.. die Mama lag noch 50 km weiter weg im KH und der Papa kümmerte sich um die Verlegung, dass sie auch bei Silas sein durfte.. Als sie auf dem Weg ins Krankenhaus war kam der Anruf, dass sie sich verabschieden müssen. Silas schafft es nicht. ..noch Stunden vorher freuen die Eltern sich auf ihren Sohn.. endlich ist er da.. und dann das.. so surreal .. es übersteigt die Vorstellungskraft...

Die Eltern schafften ins andere Krankenhaus und konnten sich verabschieden.. Silas ist friedlich einen Tag nach seiner Geburt im Beisein seiner lieben Eltern eingeschlafen..

Er hatte keine Verbindung vom Herz zur Lunge. Man hatte das während der Schwangerschaft nicht erkannt. Keine Chance für den kleinen Mann..

Stille. Mehr ist nicht da.

Und da stand ich nun.. mit der Familie und dem so schlafend wirkenden, wunderhübschen Silas.. mir war so schwer ums Herz.. Irgendwann fing ich an zu erzählen.. wer ich bin.. dass ich da bin, um ihnen Fotos zu schenken.. Die Mama erzählte mir, dass sie über facebook von uns erfahren hat. Darum hatte sie selbst gleich eine Nachricht geschickt... und aus dem Grund mache ich so viel Öffentlichkeitsarbeit für diese Möglichkeit... und es freut uns – wenn man in dieser Situation von Freude sprechen kann – dass wir schon so viel durchgebrochen sind.. dass auch betroffenen Eltern wissen, dass sie uns anfordern können.. Noch so viele Sternchen treten ihre große Reise in den Himmel an und die Eltern haben im besten Fall ein Handyfoto... wenn überhaupt.. wie viel diese Fotos erst „wert“ sind.. das wissen viele oft erst Jahre später.. Relativ schnell sagte die liebe Mama, sie möchte uns unterstützen.. ich darf auch von Silas berichten.. sie möchte helfen, uns bekannter zu machen.. aus dem Grund erzähle ich euch heute seine Geschichte..

Silas wurde von der lieben Schwester auf den Arm der Mama gelegt.. so ein inniger Moment.. Ich fing an zu fotografieren.. die Hände.. alleine.. mit den Händen der Eltern.. Die Mama hatte ihren kleinen Sohn auf dem Arm.. ein Kennenlernen ... ein Verabschieden.. ein Versuch zu verstehen.. das kann man nicht.. wie sollte man das können...

Ich nahm Silas vorsichtig hoch und legte ihn in den Arm des Papas.. die Welt schien still zu stehen... ich fotografierte ... und irgendwann stand ich einfach da.. schaute die beiden an.. fragte nach einer Weile, ob ich Silas auch noch alleine fotografieren soll.. der Papa sagte, er kann ihn grad noch nicht los lassen.. oh man.. ich stand einfach da.. wartete.. keiner sagte was.. ich versuchte meine Fassung zu bewahren.. und dann .. irgendwann sagte der Papa: jetzt kann ich ihn hinlegen.. Vorsichtig legte er Silas auf das Bett der Mama.. ob ich auch seine Ohren fotografieren könne.. war ihr Wunsch.. Ich fotografierte alles, was ich fotografieren konnte.. immer darauf bedacht, jede noch so kleine Erinnerung festzuhalten.. es gibt ja nur diese eine Chance.. zwischendurch nahm ich immer mal wieder das Handy des Papas und machte auch damit Bilder..

Später kam die Schwester rein und ich half ihr Fuss- und Handabdrücke zu machen.. vorsichtig säuberten wir die kleine Hände und Füße wieder von der blauen Farbe.. auch diese Erinnerungen.. so wichtig...

Danach „packten“ wir Silas kuschelig ein.. und legten ihn vorsichtig in sein Bettchen.. für mich war es an der Zeit zu gehen.. ich verabschiedete mich von der Familie und fuhr schweren Herzens nach Hause.. und dachte immer wieder an diesen hübschen Jungen.. von dem ich dachte, er macht jeden Moment seine Augen auf..

Wenige Tage später brachte ich den Umschlag mit den Bildern und dem Buch für die Geschwister zur Post.. am nächsten Tag rief mich der Papa an.. und bedankte sich für die so wunderschönen Bilder von Silas.. er sagte, er bringe sie nachher zu seiner Frau ins Krankenhaus.. sie wäre fast gestorben – es gab Komplikationen .. keiner weiß genau, wie lang sie da bleiben muss.. Ich ging gerade mit dem Hund, als ich diesen Anruf entgegen nahm und blieb stehen.. kaum konnte ich glauben, was ich da gehört habe.. der Papa erzählte mir, was passiert war und ich dachte nur: hat diese Familie nicht schon genug an dem „Päckchen“ zu tragen, welches ihnen auferlegt wurde? Oh man..

Ich bin mit der Familie noch in Kontakt und zum Glück konnte die Mama schon wieder nach Hause.. und kann nun hoffentlich anfangen, das Ganze zu begreifen.. verstehen wird das wohl keiner von uns...

 

Ich danke euch für’s Lesen. Und ich danke meinen lieben Kollegen und Kolleginnen – wir konnten bis jetzt jedes Kind fotografieren, zu dem wir gerufen wurden.. Wir sind ein klasse Team – danke ...und möchte euch mal wieder bitten: Teilt diesen Beitrag, damit eure Freunde auch von uns SternenkindFotografen erfahren.. und wenn dann jemand jemanden kennt, der ein Kind „gehen lassen“ muss.. können auch sie auf diese Möglichkeit der Erinnerungsfotos aufmerksam machen. Ich danke euch von Herzen und hoffe, dass hier nun mal eine Zeit ohne Einsätze kommt....

 

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass ich nur Bilder von Sternenkindern zeige, wenn es der Wunsch der Eltern ist und ich eine Genehmigung dazu habe. Werden wir zu einem Einsatz gerufen ist es 100%ig gewährleistet, dass die dort angefertigten Bilder nur den Eltern zur Verfügung gestellt werden.

Einsatzbericht von Bo's Mama

Am 5.2. bin ich mit meinem Partner Jan gegen 21.00 Uhr ins Krankenhaus gefahren. Seit circa 17.00 Uhr hatte ich Wehen, welche ich erst nicht als solche einordnete. Die Regelmäßigkeit war irgendwann sehr auffällig und wir fuhren los. Da ich seit Monaten ständig Blutungen hatte und auch schon mehrfach im KH war, wo es dem Kleinen immer gut ging, war ich dieses Mal zum ersten Mal entspannt und dachte, es wird schon alles gut sein. Im Untersuchungszimmer wollte die Ärztin ausschließen, dass ich kein Fruchtwasser verliere. Als sie das sagte, habe ich das weitere Szenario irgendwie schon vor mir gesehen. Sie machte einen Ultraschall, das Herz des Babys schlug, aber es war kaum noch Fruchtwasser vorhanden. Mein ganzer Körper fing an zu zittern. Es wurden weitere Tests gemacht und eine weitere Ärztin kam und untersuchte mich. Ich wäre gerne optimistisch geblieben, hatte aber sofort dieses Bauchgefühl, dass es nicht gut ausgehen wird. Sie erklärte uns dann, dass, wahrscheinlich durch Bakterien, mein Blasensprung verursacht wurde, und dass es sehr wahrscheinlich ist, dass das Baby in den nächsten drei Tagen zur Welt kommt.
Ich war Ende der 21. SSW, viel zu früh also. Sie erklärte uns, dass das Baby noch nicht überlebensfähig sei. Sie ließ uns kurz alleine, ich weinte viel und dachte, ich sei im falschen Film.

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Ein sehr bewegender Bericht einer Mama…

Wir haben lange versucht schwanger zu werden, immer ohne Erfolg. Nach 2 Jahren haben wir dann die Kinderwunschklinik kontaktiert. Wir haben dort eine Icsi Behandlung im Oktober 22 begonnen, alles verlief ohne Komplikationen, es wurden mir 2 Eizellen eingesetzt, die auch gleich den richtigen Weg gefunden haben und ich direkt beim ersten Versuch schwanger war. Die Freude war so unbeschreiblich schön, alles so unfassbar. Beide Eizellen hatten es geschafft - wieder war die Freude groß, alles schien so einfach.

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Einsatzbericht Karl

Mein emotionalster Einsatz, den ich je hatte…


Als die Einsatzanforderung einging, dachte ich nur: Hoffentlich hat jemand meiner lieben Kollegen:innen Zeit, denn mein Tag war so voll, dass ich es mir nur schwer vorstellen konnte, an dem Tag eine Familie zu begleiten.

 

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