„Wir haben uns nicht gegen Ben entschieden – sondern für uns als Familie.“ – eine Familie, die einen so schweren Weg gegangen ist. Sätze wie dieser bleiben. Sie zeigen, wie vielschichtig Trauer, Liebe und Verantwortung sein können – besonders dann, wenn das Leben eine Familie vor eine Entscheidung stellt, die eigentlich niemand treffen möchte.
Ich habe vor zwei Jahren einer Familie Bilder ihres verstorbenen Sohnes geschenkt. Die Mutter ist selbst Kinderkrankenschwester. Sie kennt die Intensivstation, kennt schwere Schicksale, kennt auch das Leben – und das Leiden – schwerkranker Kinder. Hat selbst 1,5 Jahre ein mehrfach beeinträchtigtes Kind begleitet.
Ben ist in der 28 SSW geboren. Ben war sehr krank. Zwei extrem seltene Gendefekte. Diese Defekte zeigen sich fast nie schon während der Schwangerschaft. Bei Ben schon. Seine Mutter sagt: „Ich glaube fest daran, dass Ben uns zeigen wollte, dass er so sehr krank war.“ Diese Worte berühren – weil sie so viel Liebe und auch Trost in sich tragen.
Die Familie hat eine Entscheidung getroffen – bewusst, schmerzhaft, und aus tiefster Verantwortung. Nicht gegen Ben, sondern für das größere Ganze. Für die Familie. Für die Ehe. Für die Schwester. Für das Leben aller.
Doch was dann danach kam, war schwer: gesellschaftliche Gegenwehr, Ablehnung, Urteile.
„Ich hätte nie gedacht, dass dieses Thema so zerrissen wird“, sagt sie. So oft ging es in Äußerungen nur um das Recht des Kindes auf Leben. Kaum jemand sprach über das Recht der Familie auf Überleben.
„Langezeit hatte ich das Gefühl, dass wir gar kein Recht haben, traurig zu sein, weil wir entschieden haben, dass Ben gehen muss. Nach dem Motto: wir hätten ihn ja einfach bekommen können, dann hätten wir jetzt das Problem der Trauer seines Todes nicht gehabt. Das war sehr schwer für mich, dass ich traurig sein darf. Ich hatte häufig das Gefühl, dass ich ihn nicht in meinem Körper beschützt habe, dass ich versagt habe.“ Sagte die Mama.
Sie sehnte sich nach Verständnis. Nicht nach Diskussion. Nur nach Raum für ihre Geschichte.
Raum, den wir hiermit schaffen möchten.
Als Kinderkrankenschwester wusste sie, was auf sie zukommen würde. Sie hatte es gesehen, erlebt, begleitet. Und sie wusste auch: Daran kann unsere Familie zerbrechen.
„Wir haben uns nicht gegen Ben entschieden, sondern für uns als Familie.“
Diese Entscheidung hat die Familie nicht leichtfertig getroffen. Sie hat sie getragen. Mit viel Verantwortung. Mit Blick auf das große Ganze. Und mit unendlicher Liebe.
Doch was danach kam, war hart: Verurteilung. Unverständnis. Schweigen oder laute Meinungen. „Ich hätte nie gedacht, dass dieses Thema so zerrissen wird“, erzählt sie. Dabei wünscht sie sich nichts mehr als eines: Respekt.
Denn es ist ein Tabuthema, das keines sein sollte.
Wenn Eltern sich – aus tiefstem Herzen, aus Notwendigkeit, aus Liebe – für einen Fedozid entscheiden, dann sollten wir nicht urteilen. Wir sollten nicht hinterfragen, nicht in Schubladen denken. Sondern zuhören. Aushalten. Mitfühlen.
Diese Eltern sind nicht „weniger trauernd“. Ihre Trauer ist genauso echt, genauso tief, genauso zukunftsverloren. Sie brauchen Raum, ihre Geschichte erzählen zu dürfen – ohne Angst. Ohne Rechtfertigung.
Die Familie hat ihn sich genommen. Für sich. Für Ben. Für die große Schwester. Und für all die anderen, die sich vielleicht bisher nicht getraut haben, ihre Geschichte zu teilen.
Weil jede Entscheidung, die aus Liebe getroffen wurde, Respekt verdient.
Denn Fedozid ist kein Tabuthema. Es ist ein Thema, das Mitgefühl verdient. Keine Verurteilung.
Und so dürfen auch ihre Worte hier stehen, für andere sichtbar: „Man trauert ja nicht nur um das verstorbene Kind – sondern auch um die verlorene Zukunft.“
Ben hat Spuren hinterlassen. In ihrer Familie. In ihrer Geschichte. In ihren Bildern. Und auch hier.
Nicht jede Entscheidung sieht von außen aus wie Liebe – und doch ist sie genau das.